18. September 2009

RIP Magical History Tour - Eine Erregung anstatt eines Nachrufs

Wenn es hier, nicht lange nach dem Offenbarungseid des internationalen Forums des jungen Films, schon wieder um die Freunde der deutschen Kinemathek geht, so nicht aufgrund einer persönlichen Abneigung. Im Gegenteil aus enttäuschter Liebe. Ich habe sowohl dem Arsenal (das trotz allem noch das wichtigste Kino der Stadt ist) als auch dem Forum (das trotz allem die einzige relevante Sektion der Berlinale ist) viele wundervolle Kinoerlebnisse und einen guten Teil meiner Filmbildung zu verdanken. Leider jedoch nutzen beide Institutionen sowohl ihre eigene Geschichte als auch ihr sonstiges Potential immer weniger. Neuestes Opfer, ein Jahr nach dem nun offiziell in jeder Hinsicht verheerenden "Relaunch" des Arsenals: die "Magical History Tour". Über lange Jahre hinweg schlug sich diese Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat durch jenes audiovisuelle Dickicht, das erst im Akt des Sich-Hindurchschlagens zu einer begrifflich auch nur halbwegs fassbaren Filmgeschichte werden kann. Ab Oktober wird es die Magical History Tour nur noch dem Namen nach geben. Ich zitiere aus einer aktuellen Pressemitteilung:

Wir verabschieden uns allerdings vom kaum mehr wahrnehmbaren Überangebot von 365 verschiedenen Filmen pro Jahr, der chronologischen Anordnung der präsentierten Werke und dem Versuch, wichtige Strömungen und Epochen der Filmgeschichte im Kontext und Überblick anhand einzelner Beispiele abzubilden. Ab jetzt werden wir jeden Monat acht bis zehn ausgewählte Beispiele der Filmgeschichte um ein bestimmtes Thema gruppieren. Dies gibt uns die Möglichkeit, Filme unterschiedlicher Regionen, Stilrichtungen, Genres und, Epochen – von der Anfangszeit des Films bis ins 21. Jahrhundert – in einem Monat miteinander in Beziehung zu setzen. Das erste Thema der neuen Magical History Tour lautet „Farbe im Film“, in den nächsten Monaten widmen wir uns Themen wie „Montage“, „Manifeste“, „Ton“, „Körper“, „Kollektive“, „Abbildung und Wirklichkeit“, „das Politische“ und „Exzess & Minimalismus“.


Der erste Satz des Zitats kann nicht anders gelesen werden als: "Wir verabschieden uns von der Filmgeschichte".

Die Magical History Tour war reformbedürftig, keine Frage. Das Verständnis von Filmgeschichte, das ihr zugrunde lag und das auf einer chronologischen Aneinanderreihung distinkter, nach Regionen geordneter Meisterwerke von Meisterregisseuren beruhte, darf gerne als anachronistisch bezeichnet werden - andererseits stehen so viele alternative Ordnungssyteme eben doch nicht zur Verfügung. Vor allem, das wiegt schwerer, war es immer wieder schwer zu ertragen, diese Meisterwerke im kleinen Kino 2 versenkt sehen zu müssen, während nebenan im großen Saal die neueste Event-Sau durchs Dorf getrieben wird. Auch die Schwerpunktsetzungen, teils finanziell, teils vielleicht auch ideologisch bedingt, waren hinterfragbar. Monatelang sowjetische stumm- und frühe Tonfilme, dafür übers Jahr verteilt kaum ein Dutzend asiatische Filme: da stimmten die Verhältnismäßigkeiten ganz grundlegend nicht. Aber solche Probleme sind erstens unvermeidbar und zweitens in Ansätzen behebbar. In der Tat gelang es der Magical History Tour in diesem Jahr trotz des insgesamt bereits etwas zurückgefahrenen Umfangs, sowohl zum chinesischen wie auch zum japanischen Kino verhältnismäßig umfangreiche Programme zu entwerfen. Insbesondere das derzeit laufende chinesische Programm, das nun leider ein Abschiedsgeschenk sein wird, zeigt, in welche Richtung es hätte gehen können und sollen: Einerseits vermehrt in Richtung Gegenwart, andererseits in Richtung des hauseigenen Archivs, dessen eindrucksvolle und in vieler Hinsicht einmalige Sammlung nach wie vor im Tagesbetrieb kaum - und nach der neuen Konzeption der Reihe zu schließen: in Zukunft noch viel weniger - genutzt, beworben etc wird.
Trotz kleiner Unstimmigkeiten war die Magical History Tour doch ein ehrgeiziger, in Berlin mit nichts vergleichbarer und durch nichts zu ersetzender Versuch, Filmgeschichte dort darzustellen, wo sie zwingend ihren Ort hat: im Kino. Das neue Konzept verabschiedet sich von dieser Ambition. Man mag die Kategorien "Nationalkinematografie", "Autor" und vielleicht sogar "Epoche", nach der die Filme bislang geordnet waren, für unzureichend halten, sie sind aber doch allemal besser (und zwar nicht quantitativ, sondern qualitativ besser) als die jetzt eingeführte Kategorie: "9 Filme, die den Arsenal-Programmverantwortlichen zum Thema Farbe eingefallen sind". Es kann nicht - zumindest nicht zuerst - darum gehen, diese konkrete Auswahl (bei der "Farbe" sind das u.a. Renoirs The River, Fassbinders Lola und Jarmans Blue) zu kritisieren, obwohl schon auf dieser Ebene klar wird, dass echte Entdeckungen künftig allenfalls noch in den Vorfilmen vor den durchweg auf die eine oder andere Art kanonisierten Langfilmen gemacht werden können.
Entscheidender ist, dass solch eine Zusammenstellung nach abstrakten Themenkategorien allenfalls in Bezug auf die jeweils getroffene Auswahl Sinn ergeben kann, nie im Leben jedoch in Bezug auf alle anderen Filme, alle, die in der Auswahl nicht enthalten sind. Und diese anderen Filme sind eben das, worum es der Magical History Tour dem eigenen Verständnis nach gehen sollte: die Filmgeschichte. Wer auf diese Filmgeschichte neugierig ist, der hat im Arsenal leider immer weniger zu suchen.

3 Kommentare:

Thomas hat gesagt…

Bereits die sanfte Neukonzeption der "Magical History Tour" (die ich immer als Kernreihe des Hauses wahrgenommen habe) im Rahmen des Relaunchs vor einem Jahr, in deren Zuge auch das "in 365 Filmen" ganz geflissentlich aus dem Titel gestrichen wurde, stellte eine Schröpfung früherer Vielfalt dar. Schon die Tatsache, dass Filme nun regelmäßig zwei- bis dreimal wiederholt wurden, ließ dies erkennen - und wurde zumindest von mir als starken Einschnitt wahrgenommen.

Als Ausgleich empfand ich die programmliche Konzentration, die mir in den vergangenen 12 Monaten, als, im besseren Sinne, publikumsnäher. (Ob, wie früher dies der Fall war, fünf - sechs Wochen russische Dokumentationen von 1920 über Schafsherden in Sibirien wirklich, bei aller Liebe für solche Entlegenheiten, "Filmgeschichte" abbilden, fragte mich schon häufiger).

Die neue Konzeption hingegen scheint mir in der Tat eine Spur /zu/ sehr eine Konzession an ein breiteres Publikum zu sein. Filmgeschichte als mal ein Fassbinder, dann ein Ophüls, und auch mal ein Kubrick zwischendrin, alles aber ohne Kitt und Kontext - bei aller Liebe im einzelnen: Nah.

Thomas

orcival hat gesagt…

Das wird eigentlich nur absurder wenn ich mich erinnere wie Birgit Kohler beim diesjährigen Symposium der Deutschen Kinemathek zu "Filmgeschichte ausstellen" oder so ähnlich, zwar etwas arrogant im Vortrag, aber richtig in der Sache ausführte, dass Filmgeschichte eben nichts gefundenes, sondern etwas immer neu zu konzipieren, zu konstruierendes ist.

Und mit diesem Denken so eine Beliebigkeit als Filmgeschichte zu verjubeln... Zumal sie damals offenbar froh waren, das die Finanzierung durch eigentlich so nicht gedachte Querfinanzierungen eher besser geworden ist.

So richtig versteh ich wirklich nicht, wo das Arsenal grad so hin will... Aber vielleicht muss ich das ja auch nicht...

Maximilian Linz hat gesagt…

Wann gibt es hier endlich eine echte Kinemathek? Habe vorhin Vertigo sehen wollen und war noch ohne Meinung zur Neu-Ordnung, musste aber erstmal durch einen Urlaubs-Stummfilm namens Heat Shimmer, er war auch in Farbe, das hatte er mit Hitchcock gemein. Sinnlose Sinnlosigkeit, doppelt schlimm: der Hauptfilm hat mich dann auch erstmals voll angeödet.