4. April 2009

Ich bin mein Himmel und meine Hölle

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Die Räuber - Friedrich Schiller
Schaubühne
Regie: Lars Eidinger
Ausstattung: Christoph Rufer
Kostüme: Esther und Lena Krapiwnikow
Akkordeon: Jan Jachmann
Dramaturgie: Irina Szodruch
Licht: Boris Kahnert
mit: Grégoire Gros, Toni Jessen, Urs Jucker, Birte Schnöink, Claudius von Stolzmann, Tilman Strauß, Felix Tittel, Sebastian Zimmler

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Das Sturm und Drang-Meisterwerk, das seinem 22-jährigen Verfasser unter anderem einen Kurzaufenthalt im Gefängnis verschaffte, begeisterte bei seiner Uraufführung 1782 vor allem jugendliches Publikum und empörte die Sittenwächter. Studierende der Schauspielschule "Ernst Busch" (3. Studienjahr) experimentieren an Schillers erstem Drama und zeigen viele interessante Ideen.

Ein abgesenkter, wie eine Gummizelle ausgepolsterer Teil der kleinen Bühne stellt das Schloss der Familie Moor dar, wo der fette alte Vater (Urs Jucker im Fatsuit) in einer Couch vor dem obligatorischen Fernsehgerät und einer Videospielconsole vor sich hinsiecht. Eine Biertischgarnitur repräsentiert die Schenke, in der sich die Räuberbande formiert und ein expressionistisch anmutender Holzbaum in der Ecke ist natürlich der Böhmische Wald. Fast absurd simpel, aber gut.

Die beiden Szenen des Exposé werden in dieser Inszenierung parallel gespielt, so dass Franz (Sebastian Zimmler) seinem Bruder (Tilman Strauß), der nebenan (in der "Schenke an den Grenzen von Sachsen") steht, direkt in die Augen sehen kann, während er dem gemeinsamen Vater über dessen erfundene Schandtaten erzählt. Quasi in einer Parallelmontage scheinen die Zeilen der beiden Parteien hier aufeinander zu reagieren. Die Räuber bringen mit einem wie auf Knopfdruck einsetzenden Gegröhle eine authentische Kneipenatmosphäre auf die Bühne, die jedesmal genauso überraschend abrupt wieder abbricht, wie sie eingesetzt hat.

Ich habe keinen Vater mehr, ich habe keine Liebe mehr, und Blut und Tod soll mich vergessen lehren, dass mir jemals etwas teuer war!

In einem überstürzten Akt der Entrüstung über die durch seinen Bruder eingefädelte Verbannung Karls aus dem väterlichen Hause gründet der gute Bruder eine Räubergang. Die studentische Kneipengesellschaft verwandelt sich damit in eine Collage jugendlicher Subkulturen und potentieller -banden und ihr Anführer in den verhinderten Schläger und Vergewaltiger schlechthin - Alex aus Stanley Kubricks Clockworck Orange (1971).

Ich soll meinen Leib pressen in eine Schnürbrust und meinen Willen schnüren in Gesetze. Das Gesetz hat zum Schneckengang verdorben, was Adlerflug geworden wäre.

Foto: Schaubühne

Angelehnt an den Film, der sich als DVD sogar materiell auf der Bühne befindet, stürmen sie zum Soundtrack die Bühne und präsentieren sich in der Korova Milk Bar-Pose, als das Licht wieder angeht.
Während der böse Bruder, ein verwöhntes, reiches Söhnchen, sich die Zähne an Karls Verlobter ausbeißt, setzt dieser halbe Städte in Brand und schlägt Pfarrer zusammen. Dies geschieht in tänzelnder Clockwork Orange-Manier, wobei er und seine Jungs Queens Bohemian Rhapsody singen. Die anschließende Kampfszene mit den Ordnungskräften ist ein wilder Pogo. Aggressionsabbau heute.

Ihr schämt euch nicht, vor Kreuz und Altären zu knien, zerfleischt eure Rücken mit Riemen und foltert euer Fleisch mit Fasten, ihr wähnt, mit diesen erbärmlichen Gaukeleien demjenigen einen blauen Dunst vorzumachen, den ihr Toren doch den Allwissenden nennt

Der Musical-Anstrich sorgt für die erheiternde Ironie im Drama. Obwohl mancher Gesang trotz Singstar-Karaoke etwas schwächlich ist, tragen die Discokugel und einige die Figuren umstimmenden Kampf- oder Schmachtlieder zumindest zu einem Schmunzeln bei. Spätestens wenn Franz von Moor sich zu Michael Jacksons Bad triumphierend auszieht und den Fatsuit seines Vaters - das Insignium von Macht und Geld - überstülpt, scheinen die Musikeinlagen recht angenehm.

Das Spiel ist zum Teil etwas holprig, aber dennoch sehenswert. Der Schwerpunkt der Inszenierung liegt auf den beiden Brüdern und beide sind sie überzeugend und menschlich. Karl ist stellenweise etwas zu enthusiastisch, jedoch leidet darunter lediglich der Text, dessen Passagen ab und zu in der Unverständlichkeit des Schreis verschwinden. Im Gegensatz zu Anthony Burgess' Alex (Romanvorlage Clockwork Orange) verbietet es Karl seine moralische Überzeugung und keine gewaltsame Anti-Gewalt-Therapie das Dasein als Räuber und genau wie Alex kann auch Karl nichts anderes sein, als das.

Blut muss ich saufen, es wird vorübergehen.

Seine Heldentat zum Schluss wird Karl nicht gewährt: bevor er sich selbst der Justiz übergeben kann, erschießt ihn einer der beiden Überlebenden der Räuberbande. Auch in dieser Inszenierung keine Versöhnung. Keine Buße, keine Erlösung. Kaum Überlebende.

Die nächsten Termine sind: 05., 10. und 11.4.
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Die Räuber im Volltext auf Projekt Gutenberg
Die Räuber in der Schaubühne
A Clockwork Orange in der IMDb
alle Zitate aus: Friedrich Schiller: Die Räuber

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