14. Dezember 2008

Kassandra: Die Stadt ohne Juden


Begleitend zu einer Austellung im Deutschen Historischen Museum zeigt das Zeughauskino schon seit ein paar Wochen eine Filmreihe unter dem Titel "Kassandra: Visionen des Unheils", die gleichzeitig als Illustration der Kracauer-These in "Von Caligari bis Hitler". Gezeigt werden (hauptsächlich) Stummfilme aus der Weimarer Republik, die rückwirkend fast prophetisch gelesen werden könnten.
Einen besonders bedrückenden Titel weißt ein Film auf, der heute abend um 21:00 Uhr zu sehen ist: Die Stadt ohne Juden, ein österreichisches Werk aus dem Jahr 1924. Der Autor der Buchvorlage wurde 1925, ein Jahr vor dem verspäteten Deutschlandstart des Films, von einem NSDAP-Mitglied ermordet. Die nicht in jeder Hinsicht werkgetreue Verfilmung scheint ideologisch nicht so leicht festzuschreiben zu sein:

„Die Verfilmung folgt der Buchvorlage in weiten Teilen fast wörtlich, umso utopischer wirkt ihr versöhnlicher Schluss. Am Ende erfährt der überraschte Zuschauer, dass die gesamte dramatische Handlung sich nur im Traum und demnach nicht wirklich ereignet hat. Das kompromissdiktierte Leinwand-Happy-End negiert nicht nur den Sinn von Bettauers Buch, sondern auch den sehr realen historischen Antisemitismus, der darin reflektiert wird. Stattdessen wird eine nicht unbedenkliche und keinesfalls traumhafte Realität dokumentiert. [...] Diese, von der literarischen Vorlage völlig abweichende, überraschende Wendung, die das Geschehen als Traumhandlung simplifiziert, kann nicht nur als einfaches dramaturgisches Hilfsmittel angesehen werden, sondern als Musterbeispiel von Verdrängungskunst der österreichischen Seele. Der naive und vielleicht grobe Versuch aus dem Jahre 1924 kann als Generalprobe für das gelesen werden, was nach dem Zweiten Weltkrieg im Land ohne Eigenschaften praktiziert wurde.“ (Ballhausen, Krenn, zitiert nach dem lesenswerten Wikipedia-Artikel)

Wer den Film nicht im Zeughauskino sehen kann, der sei auf eine DVD-Veröffentlichung als Nummer 119 der ohnehin nicht uninteressanten DVD-Edition "Der österreichische Film" des wiener Standards verwiesen. Erschienen im Oktober 2008 ist sie bei den üblichen Verdächtigen in Berlin scheinbar noch nicht angekommen, bestellbar ist sie hier.

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