10. November 2010

Wolfgang Büld reagiert auf Klaus Lemke.

Es ist interessant zu sehen, wie deutsche Filmemacher auf Klaus Lemkes Manifest reagieren, zumal wenn sie aus sehr unterschiedlichen Bereichen stammen. Hier beispielsweise Christoph Hochhäusler, der sich mit seinen Filmen allen einzelnen Schwierigkeiten zum Trotz zumindest prinzipiell eher im "förderungswürdigen" Bereich bewegt (dabei aber selbst keine der brav zu Tode geförderten Filme dreht, die Lemke attackiert), im folgenden dann aber (mit Genehmigung) dokumentiert die Reaktion von Wolfgang Büld, der mit seinen Filmen auf Förderung von vornherein nicht hoffen kann.

Wolfgang Büld entstammt, wie sein "Filmschulen-Klassenkamerad" Dominik Graf, einer Generation von hiesigen Filmemachern, die für den deutschen Autorenfilm eine Nuance zu spät gekommen sind und sich zu diesem, wenn schon nicht in offener Opposition (wie etwa Roland Klick), so doch in abweichender Position verorten. Beide haben Münchner Stallgeruch und sind näher an Lemke. Bekannt wurde Büld für seine in den 70ern gedrehte Punkdokumentation Punk in London, deren schlechte Abmischung so berüchtigt wie passend ist. Graf und Büld drehten beide Filme, die auf der NDW-Welle ritten: Drei gegen Drei mit "Trio" bei Graf, Gib Gas - ich will Spaß mit Nena von Büld. Der deutschen Komödie blieb Büld zunächst treu: Es folgte der tatsächlich so betitelte Formel Eins Film und einige frühe Beiträge zur deutschen Komödie der 90er mit Go, Trabi, Go 2 und Manta, Manta (letzterer machte Til Schweiger über Nacht zum Star). In den letzten Jahren trat Büld mit sehr kostengünstig entstandenen, wirtschaftlich aber effektiven, inhaltlich krass obsessiven Exploitationfilme wie z.B. Penetration Angst und Twisted Sister in Erscheinung, deren Dreckigkeit auch Dominik Graf regelmäßig anerkennend als Beispiele anführt.

Im folgenden per copy/paste und kommentarlos dokumentiert

WOLFGANG BÜLDS UNGEORDNETE GEDANKEN ZUM HAMBURGER MANIFEST VON KLAUS LEMKE

Meiner Ansicht nach verhält es sich mit Lemkes Manifest wie mit dem Buch von Sarrazin: Es ist in seinen Schlussfolgerungen abenteuerlich, faktisch manchmal schlichtweg falsch (z.B. hat nicht Deutschland, sondern Südamerika die schönsten Frauen), aber es regt zu einer lange überfälligen Diskussion an.

Klaus geht nur auf den kreativen Notstand ein, nicht jedoch auf das wirtschaftliche Umfeld. Wir besitzen eine saturierte Filmwirtschaft, die es sich mit den mehr als 300 Millionen Staatsgeld im Jahr gut gehen lässt und dazu noch behauptet, der deutsche Film stände finanziell blendend da. In Wirklichkeit hängt die Branche, die sich so gerne und so erfolglos einen glamourösen Anschein geben würde, hilflos an der Nabelschnur staatlicher Subventionen. Ähnlich wie die Steinkohle und die Landwirtschaft. Ein einfaches Rechenexempel: Ein Film mit 1.000.000 Besuchern spielt an der Kasse ca. 7.000.000.- ein, dabei bleibt etwa die Hälfte beim Kino, die verbleibenden 3.500.000.- teilen sich Verleih und Produzent, so dass bei dem gerade mal 1.750.000.- hängen blieben, gingen davon nicht noch Verleihvorkosten- und Garantie ab. Also im Endeffekt kaum was. Da die TV Lizenz gewöhnlich zur Finanzierung gehört, die DVD Preise erodieren und Deutschland im Filmexport noch nicht einmal Weltmeister der Herzen ist, sind auch sonst kaum nennenswerte Einkünfte zu erwarten. Da deutsche Filme mit über einer Millionen Besucher die Ausnahme sind, kann man sich ausrechnen, wie das bei 100.000 oder 10.000 Besuchern der Fall ist, was eher die Regel ist. Dank der großzügig verschenkten Steuermillionen kosten deutsche Filme allerdings gewöhnlich ein paar Millionen. Das ist ganz im Sinne der Produzenten, denn die Förderungen richten sich nach dem Budget, d.h. jede Einsparung vermindert die Fördersumme. Inwieweit sich die Filmförderung durch eingenommene Einkommens- und Mehrwertsteuer etc. für den Staat rechnet, kann ich nicht beurteilen. Ansonsten kann man den Wert nur arbeitsmarkttechnisch und als Standortpolitik positiv beurteilen. Sieht man es als Kulturförderung, so kann man feststellen, dass bei vielen Subventionsfilmen jede Kinokarte höher bezuschusst wird, als der teuerste Operplatz (in HH z.Z. 114.- Euro).

Wenn man die minoritären Co-Produktionen vom angeblich so hohen Besucheranteil deutscher Filme abzieht, so sieht man deutlich, dass der immer dann in den Keller geht, wenn in dem Quartal keine Komödie von Til Schweiger, Bully Herwig oder Otto oder eine Großproduktion der Constantin läuft. Das sind die einzigen Filme, die schwarze Zahlen schreiben und auch noch gedreht würden, wenn die Förderungen, wie von Klaus gefordert, gestrichen würden. Und der Rest? Viele Filme würden ihre Erstausstrahlung im TV erfahren (wo sie gewöhnlich hingehören), der Rest würde nicht gedreht. Und wer würde das bemerken? Die Macher und die Filmbranche natürlich. Das Fernsehen ist inzwischen ‚erwachsen’ geworden und macht mehr Quote mit eigenen Filmen und Formaten, als mit der Ausstrahlung deutscher Kinofilme (Ausnahme: Die o.g. vier). Die Kinobetreiber könnten die Lücke leicht mit internationalen Filmen füllen, der ‚normale’ Kinobesucher würde es nicht bemerken und ein paar tausend Leute wären wohl traurig.

Den von Klaus prognostizierten Ausbruch an Kreativität und die These, Hollywood zu schlagen, halte ich für utopisch.

Dafür gibt es viele Gründe. Einer davon ist, dass durch jahrzehntelange Staatsfinanzierung eine eklatante Wettbewerbsverzerrung vorgenommen wurde. Produzenten lernten es, nicht für den Markt, sondern für die Gremien zu produzieren. Wo gibt es denn außer Eichinger noch wagemutige Produzenten, wie es Wendland, Waldleitner, Hartwig, Seitz und Brauner zu ihrer Zeit waren? Heute sind Produzenten in der Regel Formularausfüller, die Projekte an Hand von Förderungslandkarten, anstatt von Stoffen anpacken. Und das beeinflusst natürlich auch Autoren und Regisseure, bzw. nur die bekommen eine Chance, die systemkompatibel denken.

Eine ähnliche Entwicklung ist leider auch in Frankreich zu sehen, wo der Film mit 600 Millionen im Jahr zu Tode gefördert wird. Wo sind denn seit Jahren die wegweisenden französischen Filme, für die wir uns früher begeistert haben? International existiert der französische Film doch fast nur noch in Form von Luc Besson Produktionen.

Diese Entwicklung ist leider nicht so einfach rückgängig zu machen, das wäre so, als wenn man von einem Tag auf den anderen alle nicht erneuerbaren Energieerzeuger abstellen würde.

Vor ca. 30 Jahren, als es noch nicht zu spät war, verfasste ich deswegen mit Eckhart Schmidt das ‚Münchener Manifest’ mit einer ähnlichen Aussage wie Lemke. Ich habe es nicht mehr vorliegen, kann mich aber erinnern, dass es ziemlich radikal war und wir z.B. Berufsverbot für die ‚Oberhausener’ verlangten. Damals wollte es außer uns niemand unterschreiben, noch nicht einmal Klaus.

Tragisch und für mich unerklärlich ist, dass der deutsche Kinozuschauer einen sehr homogenen Geschmack zu haben scheint: Außer Familie, Fantasy und Komödie läuft gar nichts, dazu müssen Hits alle ab 12 sein, ab 16 wird’s kritisch und ab 18 läuft gar nichts mehr! Das ist in keinem anderen Land (das ich kenne) so. In den USA können Genrefilme wie Zombieland, Paranormal Activity oder The Last Exorcism am ersten Wochenende ihre Herstellungskosten einspielen, bei uns landen sie unter ferner liefen. Dass Resident Evil z.Z. so erfolgreich ist, liegt am 3D Boom. Hätte 3D auf dem Plakat gestanden, wären bestimmt auch Millionen in Jud Süß und Henri IV gerannt. Beim TV sieht es nicht anders aus, hochgelobte und brillante Serien aus USA und UK wie ‚Life on Mars’, ‚Sopranos’ und ‚Dexter’ floppen bei uns, andere kommen gar nicht erst ins Programm wie ‚The Wire’ und ‚The Shield’.

Klaus Forderung, für seine Filme das Haus der Oma heimlich zu verpfänden, würde die arme Großmutter unweigerlich in die Obdachlosigkeit treiben. Durch die Blockbustermentalität ist es unmöglich geworden, einen noch so billigen, professionellen Film im Kino zu refinanzieren. Sleeper gibt es leider nicht mehr in Deutschland. Ausnahmen bestimmen die Regel. Lemke selber bekommt seine Filme im Spätprogramm des öffentlich-rechtlichen TV unter, wo sie z.T. über eine Millionen Zuschauer haben. Doch solche Nischen sind sehr selten geworden. Bei den Privaten gibt es sie gar nicht, denn diese Sendeplätze hat sich Ober-Oberhausener Alexander Kluge mit seiner DTCP unter den Nagel gerissen. Sehr interessant dazu: R.Schawinski, ‚Lizenz zum Geld drucken’ in ‚Die TV-Falle’.

Letzte Woche sah ich zwei weitere Beispiele selbst finanzierter Filme. Beim Filmfest HH lief vor 1000 begeisterten Zuschauern ‚Pete the Heat’ von Henna Peschel, der noch nicht einmal Geld fürs Catering ausgegeben haben soll. In hamburger Programmkinos dürfte er auch noch in vielen Jahren das Spätprogramm bereichern und der Break-even war bereits mit der ersten verkauften Karte erreicht.

Gleichzeitig lief bundesweit ‚Die Entbehrlichen’ an, ein bedrückendes Sozialdrama von Andreas Arnstedt – komplett selber finanziert. Während Klaus und Henna meist mit enthusiastischen Laien arbeiten, die auch gerne noch kostenlos die eigene Wohnung, das eigene Auto und die eigene Freundin selbstlos mit einbringen, drehte Andreas mit hochkarätigen Profis auf Rückstellung. Der Film lief auf über 30 internationalen Festivals und gewann dort mehr als 20 Preise. Um so erstaunlicher, dass er es noch nicht einmal die Vorauswahl zum Deutschen Filmpreis schaffte. Vielleicht, weil Arnstedt sich nicht an die Regeln hielt und lieber in die eigene Tasche griff, als den Staat zu fragen?

Ich selber habe im UK drei Genrefilme (Schwarze Komödie, Horror, Psychothriller) unter professionellen Bedingungen für je unter 100.000 Euro produziert. Die kamen durch die weltweite DVD Auswertung wieder rein. Doch seit der globalen DSL Einführung ist der DVD Markt tot. Ich wünsche mir die Scharia für Piraten (Hand ab, Ohren ab, Augen raus), werde sie aber leider nicht durchsetzen können.

Klaus Lemke lebt für seine Filme in einer selbstverordneten Askese, die jedem buddhistischen Bettelmönch die Schamesröte ins Gesicht treiben würde. Das ist nicht jedermanns Sache (meine z.B. nicht) und ich kann meine Ideen auch nicht mit Laien für kein Geld drehen. Und der von Klaus genannte und von uns beiden bewunderte Dominik Graf hat mehrfach bewiesen, dass seine Meisterwerke nicht mit dem Häuschen seiner Oma zu finanzieren wären, noch nicht einmal mit der Villa seines Produzenten.

Bis jetzt hat sich noch kein Weg gefunden, wie man im Internet kostendeckend Low Budget Filme (keine No Budget Filme!!!) vermarkten kann. Klar kann man seine Werke in Netz stellen, ein Clip mit Ausschnitten eines meiner Filme hat mehr als 1.000.000 Clicks bei YouTube, aber ich sehe keinen Cent davon.

Deswegen, wenn man von mir eine positive Perspektive erwartet – ich habe keine. Wenn jemand eine hat, soll er sich bitte bei mir melden.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ich kann es nicht mehr hören! Seit wann es ist denn nun unser (Papas)Kino tot/scheiße/unkreativ? Und seit wann müssten wir unser Kino endlich mal wieder (neu)erfinden? Seit 15 Jahren? Seit 28? Seit 115? Diese Diskussion ist redundant, und dass seit den Anfängen der Fotografie im 19. Jahrhundert. Und wenn Klaus Lemke Konkurrenz zu Hollywood sein möchte, go for it. Wenn Zahlen die Qualität von Filmen bemessen, viel Spaß bei der Produktion großer Kunst für Deutschland...

Max

Anonym hat gesagt…

Die Frage nach dem Für und Wehe des deutschen Filmfördersystems war bereits zu Zeiten des Beginns der Fotografie redundant?

Thomas

Lukas Foerster hat gesagt…

Mich ärgert an diesen Diskussionen immer, dass da stets abfällig von "ein paar Tausend Zuschauern" gesprochen wird, so als wäre das nichts. 1000 Zuschauer sind eine ganze Menge, wenn man die 1000 Individuen hinter ihnen betrachtet und nicht nur die fünf bis zehn Euro, die sie jeweils an der Kinokasse abgeliefert haben.
Ansonsten fand ich Lemkes "Manifest" als poetisches Statement ganz nett, als Grundlage für eine neuerliche Diskussion um das Ob und Wie von Filmförderung halte ich von ihm nicht allzu viel, freundlich ausgedrückt.
Siehe auch hier:
http://www.youtube.com/watch?v=8grRkZw3EFI

Anonym hat gesagt…

@Lukas

Vom Unterhaltungswert - No Pain, No Spain ist schon großartig :D - abgesehen, halte ich auch nicht sonderlich viel davon. Für mich wäre das einfach nur ein Anlass, die - und ich finde: nach wie vor wichtige - Frage nach der deutschen Filmförderung zu diskutieren.

Auch als Ausgleich zu Lemkes markigen Markierungen finde ich eben Christoph Hochhäuslers und Wolfgang Bülds Abwägungen interessant.

Thomas