11. März 2009

Eine Notiz zu Götz Spielmanns Antares

Götz Spielmanns aktueller Film Revanche, der zur Zeit in Berliner Kinos läuft, hat ihm eine Nominierung für den diesjährigen Auslandsoscar eingebracht. Wirklich verdient hätte ihn seine vorletzte Regiearbeit von 2004, obwohl sie, wie ihr Titel Antares – Studien der Liebe erahnen lässt, ein etwas prätenziöses Unterfangen war. Aber manchmal tut es dem Kino, zumal dem in der Manier des sozialen Realismus befangenen österreichischen, gar nicht schlecht, sich etwas anzumaßen. Wie etliche seiner Landsleute – Ulrich Seidl und Barbara Albert seien als deren bekannteste hervorgehoben – geht es Spielmann um die Peripherie der Stadt Wien, ihr Betoneinerlei und ihre Bewohner. Und wie seine Kollegen entscheidet auch er sich für die Form des Episodenfilms.
Manch eine episodische Filmdramaturgie mündet in die umfassende Verschränkung aller Erzählstränge. Disparate Fokalisierungen um einzelne Personen oder Gruppen von Charakteren, die sich zuvor wie beiläufig überlagert hatten, finden in einer apotheotischen Einstellung – wir sollen aufjauchzen: „endlich!“ – zueinander. So auch in Antares: Wiederholt wohnen wir einer Szene bei, die als Glied zwischen zwei Handlungsverästelungen fungiert. Noch bevor wir also den Zusammenhang kennen, in dem derselbe Moment wiederkehrt, wissen wir bereits um die Anmutung dieses Kulminationspunkts – und können seine Wiederkehr kaum erwarten. Eine besonders handgreifliche Erscheinungsform dieses Prinzips ist der Autounfall. Auch Götz Spielmann macht von ihm Gebrauch, allerdings konsequent gegen den Strich gebürstet. Gleich zu Beginn des Films die Kollision, auf einer leeren Kreuzung bei Nacht. Wenig später schon wieder eine Autofahrt, die Insassen randvoll mit Drogen, die Kameraführung auch nicht zimperlich: Das Bild so verrüttelt, als bräche das Auto bei voller Fahrt entzwei. Allein, der Unfall bleibt aus. Spielmann entgeht durch diesen kontraintuitiven Kniff einer verbreiteten Unart nicht nur des österreichischen Films. Statt das Geschick seiner Figuren einzig an ihrer Schichtzugehörigkeit auszurichten, was dem Film unweigerlich eine fatalistische Note verliehen hätte, betont er durch das Ausbleiben eines erwarteten Anschlusses, durch das Legen einer falschen Fährte, also gewissermaßen auf struktureller Ebene, die Unvorhersehbarkeit seiner Geschichte. Im Gegensatz zu den meisten jener unsäglichen Episodenfilme mit sozialem Anliegen (als internationales Negativbeispiel aus demselben Jahr vgl. Paul Haggis’ Crash), die ihren drögen Determinismus mit dramaturgischer Virtuosität zu bemänteln suchen, gelingt Spielmann in Antares das Porträt eines Milieus, dessen Vertreter darob nicht zu blassen Funktionen ihrer Herkunft geraten.
Wer's nachprüfen will, wende sich ans Videodrom.

schamlose einmischung von thomas per edit: oder an die filmkunst videothek in fhain.


1 Kommentar:

Lukas Foerster hat gesagt…

Ich habe mir auf Deinen schönen Text hin den Film, der schon länger bei mir zuhause herum lag, gestern endlich angeschaut. Auch mir hat er sehr gut gefallen. Gerade, weil er zum handelsüblichen österreichischen Autorenfilm (bzw was ich davon kenne) fast genauso viel Abstand hält wie zu Haggis. Es ist ja in Antares nicht so, dass da ein paar slices of life wie zufällig ausgewählt und dann irgendwann ein wenig - ebenfalls wie zufällig - miteinander verknüpft werden. Das ist ja von Anfang an (der Autounfall, den Du erwähnst, dann gleich die Totale vom Wohnblock etc) ganz emphatisch Konstruktion, das setzt sich in Details wie der Stoffgiraffe fort und wird teilweise richtig spielerisch (zwei Küchen sehen gleich aus und werden exakt gleich kadriert etc). Und das schöne ist dann, wie Du es ja auch schreibst, dass diese Konstruktion nie zur reinen Versuchsanordnung degradiert wird. Dass also die extrem sorgfältig und alles andere als beiläufig konstruierten narrativen Verschränkungen nicht in einen affektökonomischen Spannungsbogen eingelassen werden oder sich in eindimensionale sozioökonomische Modelle pressen lassen (wobei natürlich durchaus ein Art Ökonomie dieses Betonklotzes entsteht, aber keine, würde ich sagen, mit dem Anspruch auf unbedingte Verallgemeinerbarkeit).
Was hältst Du eigentlich von Revanche? Wenn ich den Textanfang richtig verstanden habe, hast Du da Vorbehalte, oder? Rückblickend wird für mich der Film auch etwas problematischer. Irgendwie scheint die Lust an der Struktur da dem Genre in die Queere zu kommen. Ich bin mir da aber ganz und gar nicht sicher und kann das auch nicht konkretisieren.